Berlin - Man stelle sich einmal vor, zum Saisonauftakt liefe Hertha BSC mit einer unvollständigen Mannschaft auf, weil der Rest einfach nicht erschienen oder zu spät gekommen ist. Im Profi-Fußball von heute völlig undenkbar.
1921 jedoch schien die fehlende Disziplin der Spieler des BFC Hertha ein derartiges Problem geworden zu sein, dass Julius Haase, seines Zeichens ehemaliger Hertha-Spieler und damals Mitglied des Spielausschusses, sich genötigt sah, eine seitenlange Ansprache an die Mannschaft in der Vereinszeitung zu veröffentlichen: "Das Bummeln einzelner Spieler hat derartig eingerissen, daß beim Spielanfang nur 7 bezw. 8 Mann zur Stelle sind, während der Rest noch beim Umziehen, oder überhaupt nicht anwesend ist! So kann das nicht weitergehen! Es macht keinen schönen Eindruck, wenn man sieht, wie auf dem Platze ein Spieler nach dem andern ganz gemütlich ankommt und sich zum Spiel einfindet."
In scharfem Ton forderte er die Mannschaft auf, pünktlich auf dem Platze zu erscheinen, schließlich könne der Spielausschuss "nicht überall sein und jeden Spieler womöglich noch antreiben." Die Spieler müssten mindestens eine halbe Stunde vor Spielbeginn eingetroffen sein, um sich in Ruhe umziehen zu können - Haase sah sonst die Gefahr, dass die Spieler vor lauter Hetze zu hektisch spielen könnten. Er erinnerte die Spieler daran, dass die Uhrzeiten für den Spielbeginn aus der Zeitung zu entnehmen seien.
Ein aus heutiger Sicht grundlegender Hinweis bezog sich auf die Spielweise der Herthaner: "Ferner möchte ich die Mannschaften auch darauf aufmerksam machen, daß man nicht nur Fußball mit den Beinen spielt, sondern auch mit dem Kopf. Bei den meisten Spielern habe ich beobachtet, daß der Blick immer auf den Ball und auf die Beine des Gegners gerichtet ist, dadurch können sie nicht sehen, wo ihre Partner stehen." Das scheint heute ja eindeutig besser zu klappen!
Doch auch die Vereinsmitglieder bekamen ihr Fett weg: "Es finden sich nun überall Mitglieder, die meinen, einige gute Ratschläge geben zu können, besonders nach dem Spiel, betreffs der Mannschaftsaufstellungen. Der eine will so, der andere wieder so. Herthaner, aus eurer Mitte heraus habt ihr uns das Vertrauen geschenkt, dieses verantwortungsvolles Amt zu verwalten und wir geben uns die redlichste Mühe unsere Mannschaften dahin zu bringen, wo es sich für den B.F.C. Hertha gebührt." Die Schriftleitung der Vereinszeitung jedenfalls unterstrich den Appell des Julius Haase und forderte die unzufriedenen Mitglieder auf, zu den Versammlungen zu kommen: "Da macht eurem übervollen Herzen Luft und übt Kritik, aber nicht auf der Tribüne und in der Sitzung die Faust in der Tasche." Manchmal scheint Geschichte gar nicht so vergangen so zu sein...
(juli/war)
Ein Blick ins Archiv: Dicke Luft beim BFC Hertha
Mit Anekdoten, Geschichten und Kuriositäten aus der blau-weißen Historie fiebern wir dem 25. Juli entgegen.
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24.07.2017